11.04.2024, 16:00
Einführung der Bundesliga und Hoffnung auf das internationale Parkett
Während die Mannschaftssportarten Rollstuhlbasketball und Rollstuhlrugby zum Programm der Paralympics gehören, fristet der Rollstuhlhandball noch ein Nischendasein. Ein Blick auf die Situation der inklusiven Handball-Variante in Deutschland.
Der Oktober 2024 könnte ein Meilenstein für den deutschen Rollstuhlhandball werden: Wenn alles nach Plan läuft, soll im Herbst die neue Bundesliga starten. Es wäre der erste Regelspielbetrieb im Rollstuhlhandball, den es in Deutschland je gegeben hat.
Während Nachbarländer wie die Niederlande und Frankreich viel weiter sind und selbst ein Nicht-Handballland wie Indien schon eine Mannschaft zur Weltmeisterschaft 2022 entsendete, steckt der Rollstuhlhandball im Mutterland des Handballs noch in den Kinderschuhen. Erst 2017 wurde der Fachbereich Rollstuhlhandball im Deutscher Rollstuhl-Sportverband (DRS) von Dr. Meike Lüder-Zinke gegründet, 2020 wurde das erste verbindliche Regelwerk Rollstuhlhandball verabschiedet.
"Wir sind noch im Aufbau. Das Ziel ist es, in den kommenden Jahren deutschlandweit Strukturen schaffen, um die Sportart zu etablieren und jedem interessierten Menschen die Teilnahme zu ermöglichen", umreißt Lüder-Zinke die Ziele, die auch selbst Spielerin der RSG Blue Bandits aus Hannover, einem der führenden Teams in Deutschlands, ist.
Aktuell listet die Initiative Rollstuhlhandball Deutschland (RHD) auf ihrer Webseite deutschlandweit zwölf Mannschaften auf: Im Norden spielen die Blue Line Marne (Schleswig-Holstein), Freibeuter Hamburg sowie die Rolling Chairs Isernhagen, die Red Ants und die RSG Blue Bandits (alle aus dem Raum Hannover).
Aus Nordrhein-Westfalen kommen die BTB Rolling Bandits und die Rolli Rockets Aachen, hinzu kommen der TSV Wefensleben (Sachsen-Anhalt), die VSG Darmstadt 1949 (Hessen) und die Blue Lions (Thüringen). Im Süden halten die HB Ludwigsburg und das Team Baden die Fahne hoch.
Die weißen Flecken auf der Landkarte sind jedoch (noch) groß. Es werden beispielsweise noch keine Teams aus Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Bayern gelistet. "Wir wollen die Entwicklung jetzt Top-Down vorantreiben", sagt Lüder-Zinke. "Über die Bundesliga als Spitze wollen wir in die Breite gehen, sodass irgendwann jeder ein Angebot in seiner Region bekommen kann."
Seit Anfang März läuft das Vorrundenturnierjahr (VTJ), das der Qualifikation für die Bundesliga dient. Interessierte Teams sammeln über ihre Platzierungen Punkte. Für einen Turniersieg gibt es fünf Zähler, absteigend bis zum einem Zähler für den 5. Platz. Die besten acht deutschen Mannschaften des VTJ dürfen in der Bundesliga starten. Die nächsten Turniere sind in Eisenach (Juni) und Haßloch (September) geplant.
Parallel zu den Turnieren läuft die Entwicklung einer Spielordnung für die Bundesliga, denn neben dem sportlichen Rahmen braucht es auch Strukturen. "Wir bauen die Erfahrungen aus den Vorrundenturnieren ein", sagt Lüder-Zinke. "Außerdem können wir sehr viel von unseren Nachbarländern lernen, die weiter sind als wir." Es ist jedoch ein Kraftakt, denn die Entwicklung fußt neben hauptamtlichen Mitarbeiter:innen viel auf ehrenamtlichen Einsatz; eine staatliche Förderung gibt es für den Rollstuhlhandball (noch) nicht.
Doch wie funktioniert Rollstuhlhandball überhaupt? "Es ist nicht besonders schwierig, sich als Handballer in diese Variante reinzudenken - die größte Herausforderung ist es, das Rollstuhlfahren zu erlernen", erklärte der früherer Bundesligaspieler Christof Armbruster, der sich für den Rollstuhlhandball engagiert, vor einem Jahr im Interview.
Rollstuhlhandball wird auf einem normalen Handballfeld gespielt, mit einem Torhüter und fünf Feldspielern pro Team. "Das Tor ist abgehängt, denn der Torwart sitzt ja auch im Sportrollstuhl und käme sonst nicht in die oberen Ecken", fasste Armbruster zusammen. "Du darfst den Ball in den Schoß legen und dreimal anschieben, das entspricht den drei Schritten. Ansonsten kannst du prellen, passen, werfen - eben ganz normale Handballregeln."
Ein, zwei Besonderheiten birgt das Regelwerk des Rollstuhlhandballs natürlich dennoch: So muss immer mindestens eine (weibliche) Spielerin pro Team auf dem Spielfeld sein. Der Einsatz von Harz ist komplett untersagt. Und natürlich dürfen die Spieler:innen während des Spiels nicht aufstehen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, weshalb Ober- und Unterschenkel mit Gurten am Rollstuhl gesichert werden.
Denn, um mit einem Vorurteil aufzuräumen: Um Rollstuhlhandball zu spielen, muss man nicht im Alltag im Rollstuhl sitzen. "Rollstuhlhandball können alle gemeinsam spielen, das ist das Schöne an dem Sport", betonte auch Armbruster. "Männer und Frauen, Junge und Alte, mit Handicap oder nicht: Es ist absolut inklusiv. Und anders als im Rollstuhlbasketball oder -rugby gibt es auch keine Einstufungen der Handicaps. Solange die Schulter und der Wurfarm mitmachen, kann man mitspielen (lacht)."
Neben den Spielregeln umfasst das Regelwerk daher auch genaue Vorgaben, wie der Sportrollstuhl ausgestattet sein darf bzw. muss, um einheitliche Bedingungen zu schaffen und Verletzungen durch eine falsche Ausstattung zu vermeiden. So sind beispielsweise der so genannte Rammbügel und Polsterungen verpflichtend, Elektro-Rollstühle hingegen verboten. Die Kosten für einen Sportrollstuhl liegen - je nach Qualität und Sportlichkeit - bei 2.000 bis 7.000 Euro.
Neben dem Aufbau eines nationalen Spielbetriebs träumen die deutschen Rollstuhlhandballer um Lüder-Zinke auch von der Teilnahme an Welt- bzw. Europameisterschaften. Eine Nationalmannschaft gibt es aufgrund der aktuellen Struktur im deutschen Sport jedoch noch nicht.
Das Problem: Für Turniere des Weltverbandes IHF sowie des europäischen Handballverbandes EHF sind qua Regularien nur Teams des Deutschen Handballbundes zugelassen. Die Rollstuhlhandballer sind zurzeit jedoch im Deutschen Rollstuhl-Sportverband (DRS) organisiert, der ein Fachverband des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) ist.
"Es ist kompliziert", stellt auch Lüder-Zinke mit einem Achselzucken fest. "Im Ausland ist der Rollstuhlhandball oft im Handball-Fachverband angesiedelt, daher haben sie dieses Problem nicht. Wir versuchen jetzt gerade, die juristische Möglichkeit zu schaffen, dass wir international als deutsche Nationalmannschaft spielen können."
Der Prozess wurde nach der "World and European Wheelchair Handball Championship" 2022 eingeleitet, doch bislang hat sich am Status nichts geändert. Die Gespräche zwischen DHB und dem DBS laufen. "Es dauert länger, als wir gehofft hätten", bedauert Lüder-Zinke.
Umso wichtiger ist die Schaffung der Bundesliga - und jede Schlagzeile, die der Rollstuhlhandball produzieren kann. "Wir brauchen Unterstützung, um zu wachsen - und dafür brauchen wir Öffentlichkeit und Publicity", fasst Lüder-Zinke zusammen. "Nur so finden wir noch mehr Menschen, die Motivation haben, unsere moderne, inklusive Sportart auf allen Ebenen voranzutreiben."
Die IG Handball e.V. präsentierte am "Tag der Vielfalt" im April eine bunte Mischung von Personen und Wegen, die den Handball abseits des ergebnisorientierten Spitzenhandballs mit Leben füllen.
"Als IG Handball wollen wir der Sportart Handball eine Stimme geben - auch und gerade den Protagonist:innen und Themen, die anders als unsere National- und Bundesligaspieler nicht wöchentlich in der Öffentlichkeit stehen", sagt Christoph Döring, Vorsitzender der IG Handball. "Denn so wichtig die deutschen Nationalmannschaften als Zugpferde sind und so stolz wir auf die stärkste Liga der Welt und ihre Vereine sind: Der Handball hat so viel mehr Facetten, denn er ist eine Sportart für alle Menschen."
jun