30.04.2024, 18:30
Kommentar zum Absturz eines ambitionierten Klubs
Der HC Erlangen steckt tief im Abstiegskampf, der Gang in die zweite Liga droht. Doch der Geschäftsführer überrascht mit der Aussage, keinen Plan für einen Abstieg zu haben. Und jetzt könnte es gegen Melsungen die nächste Pleite geben. Es wird Zeit für Veränderungen.
Ein Kommentar von Sebastian Mühlenhof
Der Abstiegskampf in der Handball-Bundesliga ist durch den Sieg des Bergischen HC gegen den HC Erlangen wieder in vollem Gange. Zwei Punkte trennen die beiden Teams, somit ist in den verbleibenden vier Spielen alles möglich. An diesem Mittwoch droht Erlangen gegen die MT Melsungen sogar die nächste Niederlage.
Doch obwohl die Lage beim HCE längst besorgniserregend ist, hat Geschäftsführer René Selke bei Dyn nun offenbart, dass sein Klub bisher keinen Plan für den Fall eines Abstiegs hat. "Ich habe mich mit diesem Szenario null beschäftigt", gestand er.
Worte wie diese lassen den Verein, der herausragende Voraussetzungen besitzt und mittelfristig ein Top-Team sein könnte, in keinem guten Licht dastehen. Viel mehr offenbart sich hier ein grundsätzliches Problem.
Seit Jahren dümpelt der HCE in der unteren Tabellenhälfte herum. Ein einstelliger Tabellenplatz gelang zuletzt 2018/2019 - das ist fünf Jahre her. Besser als Platz neun waren die Franken in acht Bundesliga-Spielzeiten nie.
Grund für die fehlende Weiterentwicklung ist nicht zuletzt die schlechte Kaderplanung. Von den vier Sommer-Neuzugängen haben zwei Spieler das Team bereits wieder verlassen, lediglich Jonathan Svensson hat bisher gute Ansätze gezeigt.
Sowieso ist die Trefferquote von Sportdirektor Raul Alonso alles andere als gut. Von 11 Transfers haben nur Christoph Steinert, Tim Zechel und Bertram Obling eingeschlagen, also weniger als ein Drittel. Dass nun ausgerechnet Manuel Zehnder während seiner Leihe zündet und sogar mit einem Wechsel liebäugelt, spricht Bände.
Außerdem scheiterte der Plan mit Hartmut Mayerhoffer krachend. Wie schon in Göppingen konnte der Trainer seinem Team keine nachhaltige Struktur in der Offensive geben, die Folge waren viele technische Fehler und eine schlechte Wurfquote. Eine bessere Analyse hätte den Fehlgriff womöglich verhindert.
Doch auch über Selke muss an dieser Stelle gesprochen werden. Als Geschäftsführer ist er zuständig für eine vorausschauende Planung, die alle Eventualitäten berücksichtigt. Dass er genau diese in der wohl schwersten Krise der vergangenen Jahre vermissen lässt, ist fahrlässig und blauäugig.
Zwar erklärte der Ex-Keeper, dass er sich mit seinen Kollegen jeden Tag hinterfragt, aber warum keiner der Verantwortlichen angesichts von sechs Niederlagen in Folge jemals einen Gedanken an einen möglichen Abstieg verschwendet hat, ist schlichtweg skandalös.
Dieses Scheuklappen-Denken musste auch Mayerhoffer erfahren. Zwei Tage nach der Niederlage gegen Leipzig musste er gehen. Kurz vor Saisonende. Es wirkte wie eine Kurzschlusshandlung der Verantwortlichen, doch noch irgendetwas tun zu wollen.
Als Interims-Trainer wurde nun Johannes Sellin installiert. Der Ex-Profi und bisherige Co-Trainer bringt einen "komplett anderen Spirit" mit, wie Selke hervorhob. Damit soll die schwierige Mission Klassenerhalt gelingen.
Im Sommer sollen dann aus der Spielzeit nach einer ausführlichen Analyse Rückschlüsse gezogen werden. Dabei sollte sich der Aufsichtsrat Gedanken machen, ob es nicht auch an anderen Stellen einen "komplett anderen Spirit" braucht, um den zahlreichen Zuschauern mehr als nur graues Mittelmaß zu bieten.
Sebastian Mühlenhof