09.02.2024, 06:30
Analyse der Handball-EM im Faktencheck
Heute stellt Alfred Gislason seine Analyse der Heim-EM vor, eventuell wird danach über eine vorzeitige Verlängerung seines bis Olympia laufenden Vertrags entschieden. Bob Hanning hatte seine EM-Analyse schon vorher gemacht - und davor gewarnt, alles rosarot zu sehen. Hat er recht? Oder Gislason, der auf diese gereizt reagierte?
Die Heim-EM war gerade vorbei, da gab es nochmal einen kleinen Aufreger. Handball-Deutschland schien mit Platz vier zufrieden, die Fans hatten eine große Party gefeiert - doch einer hob mahnend den Zeigefinger: Bob Hanning. Der ehemalige DHB-Vizepräsident warnte in seiner kicker-Videokolumne davor, das Abschneiden der deutschen Mannschaft zu positiv zu sehen.
So weit, so gut, könnte man meinen. Kann ja schließlich jeder seine Meinung haben. Zumal Hanning niemanden persönlich angegriffen hatte. Trotzdem reagierte der ansonsten für seine Ruhe und Souveränität bekannte Bundestrainer Alfred Gislason überraschend empfindlich. Er halte von Hannings EM-Bewertung nicht viel, sagte der Isländer der Sport-Bild - und griff Hanning persönlich an.
"Für mich ist Bob keine Koryphäe im Welthandball. Daher würde ich eher zuhören, wenn die Top-Trainer der Liga sich zu unserer Leistung äußern", sagte der 64-Jährige. Außerdem sei der Manager der Füchse Berlin nicht objektiv, da er sehr gerne den Einsatz seiner eigenen Leute forcieren würde. Stimmt das? Oder hat Hanning mit seiner EM-Kritik zumindest in Teilen recht?
An diesem Freitag stellt Alfred Gislason in Hannover den Bossen des Deutschen Handballbundes seine eigene EM-Analyse vor. Nils Bastek schaut sich für handball-world vorab nochmal die Aussagen Hannings an und unterzieht sie einem Faktencheck.
"Ich bin schon sehr enttäuscht, dass wir es nicht geschafft haben, Bronze zu holen."
Hier äußert Hanning seine persönliche Meinung. Er hätte sich zumindest den dritten Platz und damit die direkte Olympia-Qualifikation gewünscht. Ob er enttäuscht oder fröhlich ist, ist sein Ding - auch wenn er es öffentlich äußert.
"Ich finde, wir haben eine ganz tolle EM gesehen mit fantastischen Fans."
Hier würde wohl niemand widersprechen. Allein die 5.000 Fans von den Färöer haben in der Vorrunde in Berlin für große Begeisterung gesorgt. Zudem war die Arena in Köln bei den Spielen der deutschen Mannschaft immer ausverkauft - und dann noch das Weltrekordspiel zum Auftakt im Düsseldorfer Fußballstadion. Eine so emotionale Handball-EM hat es zuvor noch nie gegeben.
"Die deutsche Mannschaft hat aufopferungsvoll gekämpft."
Die deutsche Mannschaft hat tatsächlich immer alles gegeben. Enttäuschend war jedoch das 24:30 zum Hauptrunden-Abschluss gegen Kroatien, weil der Halbfinal-Einzug schon vorher festgestanden hatte. Hier hätte man zumindest den Eindruck haben können, als hätte nicht jeder deutsche Spieler alles gegeben. Vielmehr lag die Niederlage aber an der hohen Fehlerquote der DHB-Auswahl.
"Unser Abwehrspiel war mit Andi Wolff im Tor absolute Spitze."
Tatsächlich war die Abwehr das Prunkstück der DHB-Auswahl, vor allem der Innenblock mit Johannes Golla und Julian Köster sowie Wolff dahinter. Das deutsche Torwartduo um Wolff und David Späth lag insgesamt aber "nur" auf Platz vier. Insgesamt wehrten beide 32 Prozent der gegnerischen Würfe ab. Absolute Spitze waren die dänischen Torhüter (35 Prozent) vor Schweden und Tschechien (jeweils 33 Prozent).
"Gegen Schweden, Österreich und Kroatien hätten wir gewinnen müssen."
Auch hier wieder eine persönliche Meinung, die sich faktisch nicht überprüfen lässt. Aber: Ein Sieg gegen Österreich (22:22) war natürlich das klare Ziel der DHB-Auswahl. Gegen die Kroaten schenkte das deutsche Team den Erfolg her, weil der Halbfinal-Einzug schon vorab festgestanden hatte und Gislason seinen Stammspielern Pausen gab.
Nach dem Spiel entschuldigte Spielmacher Juri Knorr sich für die enttäuschende Leistung sogar am Hallenmikrofon bei den Fans. Ob man gegen Schweden, wie Hanning meint, gewinnen muss, ist dagegen umstrittener. Der Europameister von 2022 ist in der Breite stärker besetzt als die deutsche Mannschaft.
"Wir haben die zweite Reihe nicht genügend benutzt."
Viele deutsche Spieler waren am Ende des Turniers müde, weil sie kaum Pausen bekommen hatten. Offenbar war Gislason von seinen Ersatzspielern nicht überzeugt, er hatte zwischenzeitlich offene Kritik an seiner zweiten Reihe geübt. "Wir haben nicht viel Hilfe von der Bank bekommen", sagte er etwa nach der Pleite gegen Kroatien.
Ein Talent wie Renars Uscins zeigte erst sein Können, als Gislason wegen des Ausfalls von Kai Häfner auf ihn setzen musste. Der am Ende platte Knorr hatte während der EM dagegen kaum Entlastung bekommen, weil Gislason den anderen Mittelmann Nils Lichtlein kaum einsetzte. Ganz Unrecht hat Hanning mit seiner Meinung daher definitiv nicht.
"Man kann nicht alles rosarot sehen und muss das ehrlich und kritisch ansprechen."
Wer die Dinge rosarot sieht, sagte Hanning nicht. Mehrere Nationalspieler und auch Gislason hatten ein positives EM-Fazit gezogen. Dass jedoch bei weitem nicht alles positiv war, zeigt ein Blick auf die offiziellen Turnierstatistiken.
Bei der Wurfquote insgesamt etwa liegt die DHB-Auswahl im Vergleich zu allen Teams nur auf Platz 17, bei der Wurfquote von Außen sogar nur auf Platz 22. Im Angriffsspiel also ist man der Weltspitze nicht näher gekommen.
Nils Bastek